“Potentiale, die in den Menschen schlummern”
Petra Oberhollenzer aus Südtirol berichtet von ihrem EFD beim Verein EP in Graz
Mein Name ist Petra Oberhollenzer, ich bin 20 Jahre alt und komme aus Brixen (Südtirol). Mit diesem Bericht möchte ich euch den Europäischen Freiwilligendienst (EFD) vorstellen. Er wird viele persönliche Erfahrungen halten, aber genauso zentral wird auch die Beschreibung der Tätigkeit des Vereins EP in Graz sein, der mich als Freiwillige aufgenommen hat.
Der EFD ist an sich schon eine super Sache. Als ich davon erfahren habe, war ich sofort davon begeistert und überzeugt, dass der EFD eine einmalige Möglichkeit bietet, sich in einem anderen Land für ein kulturelles, soziales oder ökologisches Projekt (in der Regel für die Dauer von 6 und 12 Monaten) zu engagieren und gleichzeitig auch dort ein gesichertes Leben zu führen und die fremde Kultur kennenzulernen.
Welche Chancen bietet der EFD?
Im Rahmen des Programmes Jugend in Aktion- Aktion 2 wird der EFD von der Europäischen Union organisiert und finanziert. Das bedeutet, dass die Teilnahme für den Freiwilligen, der zwischen 18 und 30 Jahre alt sein muss, vollkommen kostenlos ist (mit Ausnahme eines möglichen Beitrags (höchstens 10 %) zu den Reisekosten) und während dem ganzen Auslandaufenthaltes seine Unterkunft, Verpflegung und Versicherung gedeckt ist. Zusätzlich darf der Freiwillige gratis einen Sprachkurs besuchen, wird von lokalen unabhängigen Tutoren betreut und kommt bei den Seminaren mit anderen internationalen Freiwilligen, die sich im selben Land engagieren, zusammen.
Dieses Programm sieht vor allem seine Aufgabe darin, die Mobilität von Menschen zu fördern, am Prozess des lebenslangen Lernens beizutragen, internationale Kontakte zwischen engagierten Europäern zu knüpfen und zentrale Kompetenzen zu entwickeln, die das gesellschaftliche Leben positiv beeinflussen. Sicher ist nämlich, dass die Jugend von heute am Aufbau eines neuen Europas mitwirken wird.
Was macht meine Aufnahmeorganisation, der Verein EP?
Ich selbst habe mich bei vielen verschieden Projekten beworben und schließlich am letzten Tag noch eine Zusage vom Verein EP bekommen. Ein Grazer gemeinnütziger Verein, dessen Vereinsphilosophie ist, wie der Name („EP“ steht für „Entdecke Potentiale“ oder „Evolving Potentials“) schon sagt, dass jeder Mensch ein Potential in sich schlummern hat, es meistens jedoch erst zu entdecken gilt, um es schließlich in vollen Zügen zu entfalten.
Da der Verein EP ganz stark davon überzeugt ist, dass Menschen, die in der Lage sind, ihre Potentiale zu leben, glückliche Menschen sind, versucht er, alle Menschen dabei zu unterstützen, ihre Potentiale zu sehen, auszuschöpfen und zu leben. Zweitranging, aber auch sehr wichtig für den Verein EP ist es, durch die verschiedenen Bildungsangebote zugleich aktuelle gesellschaftliche Problemfelder positiv zu beeinflussen. Im vergangenen Jahr hat der Verein EP bereits mehrfach Menschen von sich überzeugen und insgesamt zwei stolze Preise gewinnen können. 2012 waren es der „Social Impact Award“ und der „Ideen gegen Armut-Innovationspreis“!
Am 01.10.2012 hat der Verein bereits den zweiten Durchgang RELOAD gestartet, bei dem ich von Anfang an dabei sein durfte. Bis Mitte März begleiten wir 12 junge Menschen auf ihrem Weg zu ihren persönlichen Zielen. Konkret unterstützen wir im Projekt Reload arbeitsuchende Jugendliche und versuchen, sie wieder in die Gesellschaft zu integrieren.
“Nein” sagen lernen
Das Tolle und Besondere an meiner Arbeit im Verein EP war ganz sicher, dass ich einen so vielfältigen und spannenden Alltag miterleben durfte. Im Verein war immer etwas los und es wurde wirklich niemals langweilig, obwohl man sich das manchmal schon fast hätte wünschen können. Es war nämlich immer viel zu tun und teilweise hab ich es nicht geschafft, nach einem intensiven Arbeitstag vollkommen abzuschalten. Eines hab ich bestimmt gelernt während meiner EFD-Zeit, nämlich, dass ich nicht immer jedem alles recht machen kann und deshalb musste ich auch lernen, manchmal „Nein“ zu sagen und auf mein persönliches Wohl zu achten. Obwohl die Wichtigkeit dieser Lernerfahrung wahrscheinlich nicht für alle ganz augenscheinlich ist, war sie für mich wirklich ausschlaggebend. Trotzdem wusste ich zu jedem Zeitpunkt – manchmal mehr, manchmal weniger – meinen EFD zu schätzen und liebte es, mich jeden Tag neuen Herausforderungen zu stellen.
Ich habe so viel im Umgang mit Menschen dazugelernt und meine positive Einstellung, dass jeder Mensch einen guten Kern hat und sich zum Guten wandeln kann – wie klischeehaft das auch klingen mag – hat sich wirklich wieder einmal bestätigt.
Was sich auch als große Herausforderung für mich entpuppt hat war, dass ich zwei Mal pro Woche für die mittägliche Verpflegung zuständig war. Dadurch, dass so viele verschiedene Kulturen, Geschmäcker und Essgewohnheiten unter den Teilnehmern vertreten waren, hat sich das Kochen nicht wirklich als eine einfache Aufgabe herausgestellt. Mit der Zeit haben sich die Jugendlichen aber mit der italienischen Küche angefreundet und die Lasagne ist mir wahrhaftig auch jedes Mal besser gelungen. Auch bei unseren Pizza- oder Kekse-Back-Workshops hat jeder vom anderen viele brauchbaren Tipps gelernt bzw. abgeschaut.
Mehrmals durfte ich mein Englisch auffrischen und verbessern, ich hab nämlich oft Übersetzungsarbeit geleistet. Sei es für verschiedene Projektanträge oder für unsere „Growing Potentials“-Umfrage. Durch diese Umfrage wollten wir ein breites Spektrum an Meinungen sammeln, ob und wie heutzutage Potentiale genutzt werden und natürlich ob die Nachfrage besteht, Verbesserungen zu erreichen.
Mit der Zeit, als die Jugendlichen, die teilweise gleich alt oder sogar älter als ich waren, sich den nötigen Respekt vor mir aufgebaut hatten, sah ich mich auch in der Lage, einige administrative Aufgaben zu übernehmen. Ich habe die Anwesenheiten regelmäßig kontrolliert, bei Verspätungen die Teilnehmer ermahnt und habe vielfach Bestätigungen eingesammelt, geordnet und eingetragen. Dazu kamen viele Büro- bzw. Assistenzaufgaben, die ich auch sehr regelmäßig zu erfüllen hatte.
Projektideen, urban gardening und Fair Styria
Ich habe mich auch bei den verschiedensten Projekt-, Ideen- und Konzeptentwicklungen eingebracht und soweit es mir möglich war, durfte ich auch bei den Verwirklichungen derselben mitwirken. Manchmal gab es auch verschiedene Recherchetätigkeiten zu erledigen, unter anderem habe ich mich in das Thema Urban Gardening eingelesen und einen Informationstext mit den dazu passenden aktuellen Projekten der Welt erstellt. Der Artikel wird hoffentlich bald in mehreren Sprachen auf unserer Website zu finden sein.
Jedes Jahr arbeitet der Verein EP zusammen mit dem Land Steiermark an der Organisation und Umsetzung des Fair Styria Aktionstages. Im Oktober 2012 durfte auch ich bei einigen Sitzungen und natürlich auch an dem Tag, dessen Thema heuer Ernährungssouveränität war, dabei sein.
Somit fließen in meinen Aufgabenbereich beim Verein EP neben den vielen sozialpädagogischen und sozialarbeiterischen Tätigkeiten, wie ihr gesehen habt, viele andere Aufgaben mit hinein, die meine Arbeit echt abwechslungsreich und interessant machen. Letztens haben wir sogar angefangen, einen Film zu drehen: Alle durften aktiv mithelfen und das nicht nur als Schauspieler.
Zum Abschluss möchte ich noch sagen, dass es für mich bis jetzt eine einmalige Zeit mit so vielen besonderen Erfahrungen war. Zum Glück ist mein EFD noch nicht ganz zu Ende. Ich hoffe, ich habe dem einen oder anderen Lust darauf gemacht, entweder beim Verein EP mitzuwirken oder einen Freiwilligendienst im Ausland zu machen.
Weitere Informationen
Achtung! Den EFD gibt es so nicht mehr. Das Projekt ist jetzt in den Europäischen Solidaritätskorps eingegliedert und heißt ESK. Die Rahmenbedingungen sind aber weitgehend gleich geblieben. Unser aktueller Artikel thematisiert den Wandel von EFD zu ESK.
EFD = Europäischer Freiwilligendienst, bedeutet, 3-12 Monate in einem anderen europäischen Land (es gibt auch – wenige – Plätze im außereuropäischen Raum) zu leben, und dort in einem ökologischen, kulturellen oder sozialen Projekt mitzuarbeiten. An- und Rückreise, Versicherung, Miete, Essensgeld, Taschengeld, Transportkosten zum Arbeitsplatz werden vom Programm JUGEND IN AKTION (Youth in Action) übernommen, dafür arbeitet man ehrenamtlich 20-30 Stunden pro Woche.
TIPP: Rechtzeitig mit der Organisation beginnen (etwa 8-10 Monate vor geplantem Projektbeginn)!