Erfahrungsberichte Europa
29.12.2015

Europäischer Freiwilligendienst (EFD) in Bukarest, Rumänien

„Eine Auszeit vom normalen Leben.“

Elisabeth Schwarzkogler über ihre ganz persönliche EFD-Erfahrung in Bukarest

Mehr als die Hälfte meines Lebens habe ich für meine Zukunft gelernt. Stunden bin ich in der Schule und daheim vor Büchern gesessen um mit einer beruflichen Ausbildung abschließen zu können. Mit 20 Jahren machte ich meinen ersten Schritt in die Welt der Erwachsenen. Eine Welt, in der ich mein eigenes Geld verdiente, Steuern zahlte, für meine Versicherung sorgte, mit meinen Kollegen diskutierte und mit meinem Chef über meine Zukunft handelte.

Mein Leben begann sich in eine gefährliche Routine zu verwandeln. Die ersten Tage in der neuen Welt waren ja noch aufregend, doch bald lernte man die Arbeit schneller zu beenden, die Tage wurden länger und kürzer zugleich und alles wurde nach demselben Reaktionsschema ausgeführt.

Plötzlich ist man so schnell in der Arbeit, dass es sich anfühlt, als würde man stehen.
Ich konnte mit dem Gedanken, mit 20 Jahren schon zu wissen, was ich mit meinem restlichen Leben anfangen werde, nicht klar kommen. Jahrelang habe ich dafür gelernt und geschuftet aber ich bin noch nicht bereit es zu leben. Also brauchte ich eine Auszeit vom normalen Leben. Etwas ganz anderes als Österreich, als Routine.

„Rumänien also. Ein wirklich schönes Land, aber bist du dir sicher? Du weißt, es ist doch sehr arm!“
„Pass auf deine Tasche auf und geh niemals alleine in der Nacht herum, versprich mir das!“
„Bist du dort denn versichert?“
„Es wird bestimmt eine… ähm… interessante Zeit für dich, dort unten, drüben oder wo immer das auch ist“
„Rumänien? Bist du bereit für neun Monate nur noch mit Kutschen zu fahren?“

Die Reaktionen waren sehr unterschiedlich, als meine Familie und mein Bekanntenkreis davon erfuhren, dass ich für neun Monate nach Rumänien gehe, um dort bei einem EFD-Projekt zu arbeiten. Zwischen ehrlicher Sorge und lächerlichen Stereotypen hörte ich dennoch ihre Begeisterung. Sie fanden mich mutig.

One step out of your comfort zone.

Ich habe mir nicht mit Absicht eines der ärmsten Länder in Europa ausgesucht. Natürlich hatte ich Kriterien. Aber die Hauptsache war, ich wollte nicht dasselbe wie in Österreich machen.

„Congratulations“: Nach einer wirklich qualvollen langen Wartezeit, endlich eine Antwort. Ab September 2013 dürfe ich meine EVS-Zeit in Rumäniens Hauptstadt Bukarest verbringen. Ganze neun Monate! Ich, auf meinen eigenen Füßen. Wortwörtlich alleine. In einer Stadt, in der ich noch nie zuvor war. Deren Sprache ich nicht mal ein bisschen mächtig bin… NEUN Monate. 273 Tage.
Zugegeben, die Panik überschlug mich erst vier Stunden bevor ich mein Familienhaus verlies, aber sie kam mit überwältigender Kraft. Die ganze Zeit sprach ich von meinem Abenteuer, wie sehr ich mich darauf freue, aber wenn es dann soweit ist, und man sein vertrautes Nest wirklich verlassen muss, wird einem doch klar, wie sehr man an Luxus gewöhnt war.
Glücklicherweise brauchte ich die gleichen vier Stunden um mich in Bukarest wieder zu fangen. Aber ab dem ersten Tag fühlte ich mich wie zu Hause. Es war fantastisch!

Sunt voluntar în Bucuresti din Austria.

EFD bringt dich in eine Community voll mit aufgeweckten und teilweise offenen Menschen. Sie laden dich ein, ein Mitglied ihrer Familie zu sein. Es sind deine besten Freunde mit Ablaufdatum. Du schenkst fremden Menschen, die du zuvor noch nie gesehen hast, dein ganzes Vertrauen. In einer Geschwindigkeit, in der dir schwindlig wird. Du erzählst ihnen Schritt für Schritt immer mehr über deine Vergangenheit und verbringst eine fantastische Gegenwart mit ihnen. Du erzählst ihnen mehr als deinen wahren Freunde, du kannst sein, was du bist, wer du bist. Keine Entschuldigungen, kein „von dir hätte ich mir das nicht erwartet“. Keine Überraschungen, denn alles ist eine Überraschung. Überrascht zu werden, das wird deine neue Routine.
Jeder Mensch spiegelt ein unfertiges Buch in verschiedenen Sprachen, das man ohne der Erlaubnis des Autors nicht lesen kann. Aber hier in Rumänien wird ein Kapitel in einer gemeinsamen Sprache geschrieben. Man spielt selbst eine Rolle. Man baut sich selbst ein Wunderland auf, das einem heilig wird. Besucher sind willkommen, aber nicht erwünscht.

Natürlich kann alles nach hinten losgehen und man kann enttäuscht werden, man kann sich nicht wohl in seiner Organisation fühlen, sich nicht mit den Mitbewohnern verstehen, sich wünschen, die Tage vergingen schneller… Für mich ist das aber nicht so.

Natürlich kann man mit der kleinen Wohnung, in der man sich ein Zimmer teilen muss, unwohl fühlen. Man kann die Nerven verlieren, wenn man den Manager jede zweite Woche anrufen muss, da die Waschmaschine nicht mehr rudert, das Klosystem zusammen gebrochen ist, die Steckdosen nicht mit Strom versorgen, es kein Internet gibt. Aber man kann auch sagen, dass dies MEINE kleine shitty-Wohnung ist und das man sie nie im Leben eintauschen möchte.
Und ein weiteres Mal beweist dir das Leben, dass Humor das Wichtigste ist! Das A und O.

Ich bin gerade in der Mitte meines Projekts und was habe ich alles erlebt? Ich habe Menschen aus der ganzen Welt kennengelernt, traditionelles Essen aus aller Welt gekostet (das Exotischste waren bisher Froschschenkel, Foto), bis in die Morgenstunden getanzt, die Liebe entdeckt, mit meinen Patienten im Center gearbeitet, „Happy Birthday“ in über zehn verschiedenen Sprachen gesungen bekommen, das Herz gebrochen bekommen, gelacht bis ich weinte, ein Erdbeben verschlafen, einen Autounfall gehabt, Konversationen bis die Augen zufallen geführt, Kinder zum Lachen gebracht, Tage und Nächte mit Menschen verbracht, bei denen ich mir jetzt schon sicher bin, dass ich sie nie wieder sehen werde. All diese Erinnerungen, diese Erlebnisse, die mich entweder zu Tränen gerührt haben oder mir ein Lächeln schenkten, sie haben mich auf eine ganz intensive, noch nie zuvor erlebte Weise berührt. Sie stecken tief in meinem Herzen. Und ich beginne nichts zu bereuen, denn es war alles wert.

Du schreist. Du lachst. Du lebst. Du fühlst.

EFD schenkt dir eine Auszeit vom normalen Leben. Von allem, was normal ist. Du wirst mit mehr als du erwartest konfrontiert, mit mehr als du erwartest zurückkommen, wenn du dich traust.
Es ist eine Zeit, in der du egoistisch sein darfst und dennoch etwas Gutes für die Welt tust.
Ist doch eine gute Balance.
Willkommen im Abenteuer, in dem du nie weißt, was morgen auf dich zu kommen wird. Du wirst es lieben!

Weitere Informationen

Achtung! Den EFD gibt es so nicht mehr. Das Projekt ist jetzt in den Europäischen Solidaritätskorps eingegliedert und heißt ESK. Die Rahmenbedingungen sind aber weitgehend gleich geblieben. Unser aktueller Artikel thematisiert den Wandel von EFD zu ESK.

EFD = Europäischer Freiwilligendienst, bedeutet, 3-12 Monate in einem anderen europäischen Land (es gibt auch – wenige – Plätze im außereuropäischen Raum) zu leben, und dort in einem ökologischen, kulturellen oder sozialen Projekt mitzuarbeiten. An- und Rückreise, Versicherung, Miete, Essensgeld, Taschengeld, Transportkosten zum Arbeitsplatz werden vom Programm ERASMUS+ (früher: Youth in Action) übernommen, dafür arbeitet man ehrenamtlich 20-30 Stunden pro Woche.

TIPP: Rechtzeitig mit der Organisation beginnen (etwa 8-10 Monate vor geplantem Projektbeginn)!