“Grenzenlose Theatererfahrung”
Andreas Zall schildert seine Eindrücke als Mitorganisator einer bunt gemischten Improvisationstheatergruppe mit AsylwerberInnen
2010 war es endlich so weit. Nach vielen Diskussionen, nach vielem Unmut und Zähneknirschen über den politischen und zivilen Umgang mit Asylwerber_innen und vielen Träumereien über eine bessere Welt, war es die einzige logische Konsequenz: Wir (zwei Freundinnen und ich, alle zwischen 20-21 Jahren) stellen eine freie Improvisations-Theatergruppe auf die Beine, in der Menschen aller Herkunft, Menschen, die aus verschiedenen Erdteilen nach Österreich flüchteten (Schwerpunkt), Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen, die in Österreich aufwuchsen, einander kennen lernen, miteinander Theater spielen, sich zeigen, präsentieren und offenbaren, anstatt nebeneinander vorbeizuleben.
Der Name für dieses Projekt kam uns sofort: Theater Grenzenlos, weil hier Menschen jeglicher Herkunft, Religion, Alter, Geschlecht, Bildungsschicht und Ethnizität zusammen kommen sollen.
Die Ziele und Bestrebungen waren mannigfaltig. Für mich (als Psychologiestudenten) war es wichtig durch Bewegung des Körpers eine Bewegung im Kopf zu begünstigen, durch das Einnehmen und Einleben von verschiedenen Rollen und Szenen alteingesessene Handlungs- und Denkstrukturen zu lösen und neue Möglichkeiten und Spielräume zu entdecken und anzueignen, sowie (wieder) zu lernen Raum einnehmen zu dürfen, hier sein zu dürfen und zu sein wie mensch möchte. Letzteres schien mir vor allem für Asylwerber_innen wichtig, nachdem sie nach Jahren des Fremdfühlens und/oder als fremd wahrgenommen und behandelt zu werden unter anderem an Selbstwert und Selbstkonzept verlieren und sich auch physisch zurückziehen und in ihren Gesten und Gebaren kleiner werden. Was sich also an der Umwelt ändert, schlägt sich auf den Körper nieder. Aber auch umgekehrt: was durch den Körper gelernt wird, schlägt sich auf die Umwelt nieder. An dieser Theorie von Bordieu setzt unser Theater an.
Weiters wollten wir eine Plattform bieten, in der Anschluss gefunden werden kann, in der Integration vieler Lebenswelten passiert, welche im besten Falle über die Zeit im Theater hinausreicht. Zudem sollte spielerisch Deutsch gelernt werden. Also anstatt in der Klasse zu sitzen und aus Büchern zu lesen, ein Lernen der Sprache anhand von Alltagssituationen und Ausschnitten aus Lebensgeschichten.
Wir starteten dies als Versuch für das Wintersemester 2010/2011, wobei wir den Theaterraum von der Organisation „Lebenskreis“ günstig zur Verfügung gestellt bekamen, die Miete sowie andere Ausgaben (vorwiegend Getränk und Snacks) durch Crowdfunding auf der Internetseite Respekt.net finanzierten und viele Kontakte durch „Lobby.16“ bekamen, einer Organisation, die sich um unbegleitete junge Flüchtlinge kümmert, in der ich auch als Nachhilfelehrer tätig bin, sowie Bekannte und Freund_innen. Die letzte Prise gaben ein paar Flyer und Ausschreibungen bei karitativen Organisationen und Internetforen. Alles weitere entwickelte sich durch Hören-Sagen.
Die Situation ist also diese: 3 Personen, fast noch jugendlich, ohne Ausbildung in Theaterpädagogik, Sozialarbeit oder Interkultureller Kommunikation, ohne besonderes Wissen über Organisation, Werbung oder Projektführung, aber alle mit dem Wunsch, etwas zu bewegen und alle mit ihren eigenen Erfahrungen und Informationen, so dass sich die Idee im Endeffekt einfach realisieren ließ. Und das auch noch wirkungsvoll.
Aus einem Semester wurde durch Nachfrage ein zweites, auf dem ein drittes folgte und wir im Sommer 2012 auch noch das vierte zu Ende führten. Insgesamt nahmen in den 2 Jahren, in denen wir uns im Zweiwochentakt trafen, über 100 Menschen an dem Theater teil, unzählige Bekanntschaften wurden geschlossen und wichtige Freundschaften, die tatsächlich über das Theater hinausreichten. Zwei Bachelorarbeiten wurden über unser Improvisationstheater verfasst. In denen kam durch beobachtende Teilnahme und anschließenden Interviews heraus, dass unsere Ziele erfüllt wurden. Treffend finde ich dazu die Worte eines Teilnehmers, der als Hazara (ethnische Minorität) aus Afghanistan flüchtete und nach Jahren in Österreich meint, er sei seit dem Theaterspielen zu 70% weniger schüchtern.
Die Methoden für das Improvisationstheater bekamen wir durch Freund_innen, Workshops oder durch eigene Phantasie. Alle Spiele entwickelten sich so wie die Teilnehmenden weiter, wurden modifiziert und angepasst. Wir starteten die Einheiten meistens mit Namens- und Kennenlernspielen, damit das erste Eis gebrochen und Kommunikation aufgebaut wird. Als nächstes aktivierten wir uns mit Aufwärmspielen. Dann folgte der Hauptteil mit ausführlicheren Übungen, je nach Thema oder Fokus der Einheit. Abschließend setzten wir uns zu einer Feedbackrunde zusammen, in der nochmal jede_r ihre_seine Meinung und Befinden kund tun konnte, Kritik, Verbesserungsvorschläge und Gefallen aussprechen konnte.
Diesen Bericht über die erfolgreiche und eigenverantwortliche Umsetzung einer Idee, möchte ich mit ein paar ausgewählten Spielen aus unserer bunten Sammlung abschließen.
Die „take home message“ soll sein: Sich sozial und karitativ zu engagieren, etwas zu bewegen, etwas zu verändern, einen Wunsch zu verwirklichen ist einfacher und naher als mensch glaubt.
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Sammelsurium: Improvisationstheaterspiele
Namensspiel
- Ich bin x und nehme y mit auf meine Reise
Ein Kennenlernspiel, bei welchem sich eine Person vorstellt, einen Gegenstand nennt, den sie_er mit auf eine Reise nimmt und dazu eine passende Bewegung macht. Die nächste Person muss den Namen, den Gegenstand und die Bewegung wiederholen, danach ihren eigenen Namen und Gegenstand nennen und die Bewegung machen. So geht es immer weiter, bis am Schluss die letzte Person alle anderen wiederholen muss.
Aufwärmübungen
- Bewegung durch den Raum
Alle bewegen sich durch den Raum und durch Zuruf des_der Leiter_in verändert sich die Umgebung und die Teilnehmer_innen müssen sich dementsprechend fortbewegen. Beispiele: durch/auf/im Wind, Meer, Feuersteine, Eis, Nutella, Labyrinth, Seil bewegen.
- Magnetische Gruppe
Die Gruppe bewegt sich im Raum, alle Teilnehmer_innen sind kleine Magnete, und durch Zuruf der_des Leiter_in werden sie voneinander angezogen oder abgestoßen. Variationsmöglichkeit indem sich plötzlich alle Rot-Angezogenen anziehen, und alles Gelbe abstoßen, oder alle von Kariert angezogen werden.
Hauptspiele
- One Sentence Story
2-3 Personen spielen auf der Bühne. Das Publikum beginnt der Reihe nach jeweils einen Satz zu sagen, der die Geschichte und Situation der Spielenden weiterleitet. Zwischen den Sätzen sollten Pausen gehalten werden, damit die Spielenden auch Zeit haben die Anweisungen auszuführen bzw. eigene Ideen einfließen lassen können.
- Ruck- Zuck
Alle Spieler_innen stellen sich in einer Reihe hintereinander auf, alle schauen in eine Richtung. Die letzte Person bekommt von dem_der Leiter_in eine Anweisung, ein Wort, das er_sie der vor ihm_ihr stehenden Person pantomimisch in einer Szene darstellen soll. Dann soll diese Person, das verstandene Wort wieder an die nächste Person weitergeben. Bis das Bild an die letzte Person gelangt, die es dann erraten soll. Danach stellt sich die erste Person ganz nach hinten und das Raten beginnt von Neuem.
- Atmosphären- Kreis
Die Gruppe steht oder sitzt im Kreis. Die_der Leiter_in gibt eine Situation, ein Land, eine Zeit, einen Ort vor, wo sich die Spieler_innen gerade gemeinsam befinden. Alle schließen die Augen, und jede_r darf sich ein zum Ort passendes Geräusch überlegen. Nacheinander entwickelt sich im Kreis eine Geräuschkulisse, mit den akustischen Einzelteilen der Teilnehmenden. Ideen: am Meer, in Indien, Großstadt, am Bauernhof, in der Kirche, in der Moschee.
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